Der Anlass
Die Schweiz hat dieses Jahr bereits zum fünften
Mal mit einer Mannschaft von fünf Mittelschülern an der Internationalen
Physikolympiade teilgenommen.
An diesen Anlass, der jedes Jahr in einer anderen
Universitätsstadt stattfindet, darf jedes Land maximal fünf Teilnehmer
und Teilnehmerinnen entsenden, die noch nicht 20 Jahre alt und
noch nicht an einer Universität eingeschrieben sein dürfen.
Dieses Jahr haben 62 Länder mit insgesamt 296 Kandidaten
(davon 10 Frauen) teilgenommen. Ausserdem reisen pro Land zwei
"Leader" normalerweise Mittelschul-Physik-Lehrkräfte
mit, deren Aufgaben v.a. darin bestehen, die englisch formulierten
Aufgaben für die Schüler zu übersetzen und anschliessend die Arbeiten
provisorisch zu korrigieren und nach einem vorgegebenen Schema
zu bewerten. Die endgültige Rangierung der Arbeiten erfolgt dann
später in einem Gespräch mit dem Korrektorenteam, das in diesem
Fall von verschiedenen italienischen Universitäten und vom italienischen
Physiklehrer-Verband gestellt wurde. Die Bewertung erfolgt für
jeden Teilnehmer und jede Teilnehmerin einzeln; es gibt keine
"Länderwertung". Alle Aufgaben und Bewertungen werden
vorher vom "International Board", einer Art Generalversammlung
von Veranstaltern und "Leadern", ausführlich besprochen
und genehmigt.
Die Aufgaben
Die Prüfung umfasst einen je fünfstündigen experimentellen
und theoretischen Teil. Der experimentelle Teil bestand diesmal
aus Messungen an einem Torsionspendel, auf welches zusätzlich
zum Rückstellmoment eines verdrehten Stahldrahtes ein durch Schwerkraft
hervorgerufenes Drehmoment wirkte. Dies führte zu Nichtlinearitäten
und unter gewissen Bedingungen zu einem Verhalten (sog. "Bifurkation"),
wie es komplexen Systemen eigen ist. Die Messungen waren
vor allem auch wegen der herrschenden hohen Temperaturen im Saal
recht heikel und erforderten viel Fingerspitzengefühl,
insbesondere auch, weil
umfassende
Fehlerabschätzungen und Fehlerrechnung verlangt wurden.
Im theoretischen Teil mussten drei Probleme untersucht
werden: Die Thermodynamik von Strahlungsabsorption in einem Gas,
das Magnetfeld eines V-förmig gebogenen Drahtes (dieses Problem
fusst auf einer historischen Diskussion um die Resultate von Biot-Savart
und diejenigen von Ampère) und die "Swing-by"-Technik
zur Beschleunigung von Raumsonden im Planetensystem durch Vorbeiflug
an einem Planeten (aktueller Anlass ist der Vorbeiflug der Sonde
"Cassini" an der Erde im August). Die Aufgaben waren
physikalisch angemessen, erforderten sehr gute Kenntnisse des
gesamten Mittelschulstoffes (und einiger zusätzlicher Kapitel)
und vor allem eine gewisse Routine und Durchhaltevermögen, da
jeweils mehrere Teilaufgaben zu bearbeiten waren.
Die Lösungen werden mit maximal 50 Punkten bewertet
(20 für das Experiment, 3 x 10 für die theoretischen Aufgaben)
und es werden Auszeichnungen nach folgendem Schema verteilt: Goldmedaille
ab 90 %, Silber ab 78 %, Bronze ab 65 % und "Honourable Mention"
ab 50 % der erreichten Maximalpunktzahl (Mittel der drei besten
Teilnehmer).
Die Teilnehmer
Aus der Schweiz starteten:
- David Brunner (Jona)
- Samuele Chiesa (Castel San Pietro)
- Gilles Duvoisin (Savigny)
- Patrick Lehner (Lausen) und
- Andreas Vogelsanger (Beggingen)
Alle fünf Teilnehmer erreichten Ränge mit einer
Auszeichnung; vier erhielten eine "Honorable Mention",
während Samuele Chiesa mit einer Bronzemedaille
abschloss.
Dies sind zwar keine Spitzenresultate, aber man
muss auch berücksichtigen, dass solche Fähigkeiten in der Schweiz
im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kaum gefördert werden.
So haben sich unsere Teilnehmer nur gerade einen halben Tag lang
vorbereiten können, indem sie an der Neuen Kantonsschule Aarau
die Experimente der vergangenen vier Physikolympiaden ausprobieren
konnten. Die theoretische Vorbereitung war ihnen und ihren Lehrern
in der Freizeit überlassen.
Auch die Schweizer Arbeitsgruppe, die die Ausscheidungsrunden
organisiert, besteht aus 10 Lehrerinnen und Lehrern, die unentgeltlich
und ohne Entlastung vom normalen Unterricht arbeiten. In anderen
Ländern werden mehrwöchige bis mehrmonatige "Trainigslager"
durchgeführt. Beispielsweise bildet Indonesien seine fünf Leute
während dreier Monate in Djakarta aus.
Die Rekrutierung erfolgt bei uns fast ausschliesslich
durch persönliche Anfragen (so konnten wir dieses Jahr mit nur
mit 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der ganzen Schweiz
beginnen, während z.B. in Italien landesweit in allen Gymnasien
mit mehreren tausend Leuten angefangen wird).
So gesehen zeigen die Resultate, dass unser Bildungssystem
in der Breite zu recht guten Resultaten führen kann, Spitzenresultate
jedoch nicht regelmässig zu erwarten sind. Ich bin überzeugt,
dass mit gezielter Förderung und etwas mehr Mitteln aus der einen
oder anderen "Honourable Mention" eine Bronze- oder
sogar eine Silbermedaille geworden wäre: Bei der Korrektur der
Arbeiten unserer Teilnehmer hat sich nämlich gezeigt, dass es
nicht am physikalischen Verständnis lag, sondern dass viele Fehler
gemacht wurden, die auf mangelnde Routine zurückzuführen sind
und mit mehr Training zu vermeiden gewesen wären.
Dass Samuele Chiesa seine Medaille nicht persönlich
entgegennehmen konnte, da er von der Rekrutenschule im Gegensatz
zu Sportlern nur gerade für die eigentlichen Prüfungen beurlaubt
wurde, zeigt ebenfalls deutlich, dass intellektuelle Spitzenleistungen
wenig zählen.
Ich möchte noch erwähnen, dass Liechtenstein zum
ersten Mal mit einer Mannschaft mit zwei Teilnehmern mitgemacht
hat und mit Fabian Hassler auf Anhieb eine Bronzemedaille errang.
Liechtenstein hat sich dem Auswahlverfahren der Schweiz angeschlossen
und hilft mit Fritz Epple, Physiklehrer aus Vaduz, bei der Vorbereitung
der Ausscheidungsrunden mit.
Begegnungen
Selbstverständlich haben unsere Teilnehmer nicht
nur physikalische Probleme gewälzt; ebenso wichtig war das Programm,
das die italienischen Organisatoren neben den eigentlichen Wettbewerben
boten: Bei verschiedenen Anlässen hatten sowohl die Schülerinnen
und Schüler als auch die "Leader" Gelegenheit, Land
und Leute kennenzulernen und internationale Kontakte zu knüpfen,
unter anderem bei Stadtführungen, einer Exkursion nach Cortina
dAmpezzo in den Dolomiten, einer Besichtigung des Istituto
Nazinale di Fisica Nucleare in Legnaro und anlässlich von verschiedenen
Klassik-, Rock- und Jazzkonzerten. Die warmen Sommerabende luden
ausserdem zum Verweilen in einem der vielen Strassencafés von
Padua ein; viele benutzten auch die Gelegenheit, dem nur 30 km
entfernten Venedig (trotz Hitze und Touristenmenge) einen Besuch
abzustatten. Alles in allem also keine Woche zum Ausruhen, aber
wie jedesmal höchst interessant!
Die XXXI. Physikolympiade findet im Juli 2000 in
Leicester, England, statt. Wir hoffen, wieder mit einer guten
Mannschaft dabei zu sein. Vielleicht lassen sich in Zukunft auch
vermehrt Frauen dafür begeistern ?
P. Kaufmann, Neue Kantonschule Aarau, Abt. Physik
Legende zu den Bildern:
1. Swiss Team nach der Eröffnungsfeier (von links nach
rechts): Samuele Chiesa, David Brunner, Patrick Lehner, Andreas
Vogelsanger, Gilles Duvoisin, Elisa Carollo (örtlicher "Guide"
des Swiss Team)
2. Swiss Team mit den Auszeichnungen nach der Schlussfeier. Hinten
von links nach rechts: Andreas Vogelsanger, Gilles Duvoisin, Patrick
Lehner, David Brunner. Vorne: Die beiden "Guides" Elisa
Carollo und Sandra Foletti mit Bronzemedaille und Diplom des bereits
wieder in die RS eingerückten Samuele Chiesa.